Günter Brus bemalt sich weiß. Über den kahl geschorenen Kopf führt er den in schwarzer Farbe getränkten Pinsel, Augen und Mund sind geschlossen. Brus steht vor einer weißen Leinwand. Bild und Malakt, Motiv und Maler werden eins, während zugleich eine gespenstische Entfremdung und Zerteilung stattfindet. Diese Spaltung ist charakteristisch für eine Kunst, die in Vereinsamung und Qual ein gesellschaftliches Symptom erkennt. Die Arbeit wird zu einer Illustration der polarisierten Gegenwart. „Selbstbemalung“, notiert Brus 1965, „ist eine Weiterentwicklung der Malerei. Die Bildfläche hat ihre Funktion als alleiniger Ausdrucksträger verloren. (…) Durch die Einbeziehung meines Körpers als Ausdrucksträger entsteht als Ergebnis ein Geschehen, dessen Ablauf die Kamera festhält und der Zuschauer miterleben kann.“
Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, die mit Günter Brus und in enger Zusammenarbeit mit dem BRUSEUM am Universalmuseum Joanneum in Graz entsteht, legt den Schwerpunkt auf den wilden und widerborstigen Brus. Ab Jänner 1960 verbringt Günter Brus einige Monate gemeinsam mit dem Künstler Alfons Schilling auf Mallorca. Dort lernen sie über die US-amerikanische Malerin Joan Merritt die Malerei der „New York School“ kennen. Von den abstrakten Werken inspiriert, malt Brus Arbeiten auf Papier, deren kubische Formen zunächst architektonisch anmuten, sich später zu nervösen Schraffuren verdichten. Zurück in Wien beginnt er den Pinsel noch heftiger, fast wie eine Peitsche einzusetzen. Das Bild ist nicht mehr Ort der Gestaltung, sondern Raum rastloser Gesten und psychischer Abwehr. Malerei wird als aggressiver Akt wahrnehmbar, als Akt der Enthemmung, als Ausdruck zuckender Zerrissenheit und eines Todestriebs, der in eine sichtbare Spur drängt.
Die explosiven Gemälde des Informel bereiten den Weg für den nächsten, noch radikaleren Schritt: Günter Brus selbst wird zum Bildträger. Zu den bekanntesten Arbeiten dieser Serie zählt die öffentliche Aktion Wiener Spaziergang aus dem Jahr 1965. Der Künstler schlendert, bekleidet mit einem Anzug, vollständig weiß bemalt durch die Wiener Innenstadt. Eine schwarze Linie überzieht seinen Körper von Kopf bis Fuß, sie ist Riss, Narbe und Wunde zugleich. Brus wird von einem Sicherheitsorgan angehalten und mit einer Strafe belegt. In einer anderen Aktion mit seiner Tochter Diana steht er als gipserner Untoter in einer Raumecke. Gemeinsam mit seiner Frau Anna Brus, die auch bei zahlreichen Performances der Wiener Aktionisten mitwirkt, wälzt er sich, bandagiert, in einem weiß getünchten Raum. 1970 kommt es zu seiner letzten Aktion Zerreißprobe. Mit einer Rasierklinge fügt Brus sich Wunden zu, übergießt sie mit Urin und windet sich blutend am Boden. Einige dieser Aktionen werden von Avantgarde-Filmer Kurt Kren (1929–1998) frei, ohne Schnittplan, mit der Handkamera aufgenommen. Die filmischen Bilder der Aktion, die harte Schwarz-Weiß-Kontraste aufweisen, ziehen hastig vorbei. Das Dargestellte erscheint in der Abstraktion beinahe vollständig entkörpert.
Einen weiteren Schwerpunkt legt die KUB Ausstellung auf die Bild-Dichtungen. Für das Kunsthaus Bregenz wählt Günter Brus jene Serien aus, die sich mit Literaten beschäftigen, die selbst künstlerisch tätig gewesen sind oder ausdrucksstarke Metaphern geschaffen haben. Zyklen zu Emil Cioran und Victor Hugo sind düster, die Arbeiten zu William Blake erzählerisch und vielteilig.
Während des Lockdowns in der Pandemie entsteht die bislang jüngste Bildserie: bunte, märchenhafte Szenen als Aquarell und Mischtechnik auf Papier. Die Arbeiten zeigen Architekturen, Monster oder prekäre Ich-Zustände, Szenen der Einsamkeit, Angst und dunkler Verträumtheit.
17 | 02 — 20 | 05 | 2024
Eröffnung — Günter Brus
Freitag, 16. Februar, 19 Uhr
Kinderkunst
jeden Samstag, 10—12 Uhr
Führung & Workshop für Kinder von 5 bis 10 Jahren.
Öffentliche Führungen
jeweils Donnerstag um 18 Uhr, Samstag um 14 Uhr
und Sonntag um 16 Uhr
KUB Night — Freier Eintritt
jeden 1. Donnerstag im Monat, 18—20 Uhr
Opernatelier Einblick Spezial
Samstag, 24. Februar, 11 Uhr, Festspielhaus | Seestudio
Ein Gespräch mit Elisabeth Sobotka, Hugo Canoilas und Thomas D. Trummer im Rahmen der STAGE Bregenz
Eintritt frei
Tickets unter: +43 5574 407-6 | bregenzerfestspiele.com
Vortrag und Gespräch mit
Rosemarie Brucher und Eva Maria Stadler
Donnerstag, 29. Februar, 19 Uhr
Rosemarie Brucher, Vizerektorin der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, spricht über die Rolle des weiblichen Körpers im Wiener Aktionismus aus queer-feministischer Perspektive. Danach im Gespräch mit Eva Maria Stadler, Kuratorin und Kunsthistorikerin, Universität für angewandte Kunst Wien
Beitrag frei
Dialogführung mit Ariadne von Schirach
Donnerstag, 14. März, 18 Uhr
Philosophin und Autorin Ariadne von Schirach veröffentlichte 2019 das Buch Die psychotische Gesellschaft. Wie wir Angst und Ohnmacht überwinden – eine Analyse über eine Welt, die aus den Fugen geraten ist. Führung mit Thomas D. Trummer
Beitrag frei, zzgl. Eintritt
Osterworkshop Körper Kunst Aktionen
Dienstag, 26. bis Donnerstag, 28. März, jeweils 10—13 Uhr
Der KUB Platz als Bühne und Versuchsort für performative Aktionen – gemeinsam mit Künstlerin Martina Feichtinger wird mit Farbe und Körper experimentiert.
Für Kinder von 7 bis 12 Jahren
Dialogführung mit Bella Angora
Donnerstag, 28. März, 18 Uhr
Intensive Körper- und Grenzerfahrungen kennzeichnen die Werke der Vorarlberger Multimediakünstlerin Bella Angora. Aktuell zeigt das Vorarlberger Landestheater ihre Inszenierung des Stückes GIER von Sarah Kane.
Im Gespräch mit Kunstvermittlerin Kirsten Helfrich
Eine Kooperation mit dem Vorarlberger Landestheater
Beitrag frei, zzgl. Eintritt
Tipp: Mit Theaterkarte zu GIER ist der KUB Eintritt am 28. März kostenfrei.
Dialogführung mit Roman Grabner
Donnerstag, 4. April, 18 Uhr
Kunsthistoriker und Kurator Roman Grabner ist seit 2012 Leiter des BRUSEUMs in der Neuen Galerie Graz am Universalmuseum Joanneum. Im Dialog mit KUB Direktor Thomas D. Trummer
Beitrag und Eintritt frei (KUB Night)
Von nirgendwo her bis irgendwo hin Musikalische Lesung
Samstag, 13. April, 18 Uhr
Kurz vor seinem 80. Geburtstag veröffentlichte Günter Brus Von nirgendwo her bis irgendwo hin, eine Sammlung anekdotischer Erzählungen. Nico Raschner, Schauspieler am Vorarlberger Landestheater, liest eine Auswahl. Stefan Heckel begleitet die Lesung musikalisch mit Akkordeon.
Eine Kooperation mit dem Vorarlberger Landestheater
Eintritt frei, ohne Anmeldung
Direktorführung
Donnerstag, 2. Mai, 18 Uhr
Opernatelier Einblick 3
Dienstag, 28. Mai, 19 Uhr, Festspielhaus | Seestudio
Kurz vor der Uraufführung von Hold Your Breath erhält das Publikum einen exklusiven Einblick in die Schlussphase der neu entstehenden Oper. Eintritt frei
Tickets unter: +43 5574 407-6 | bregenzerfestspiele.com
Das vollständige Rahmenprogramm finden Sie online
www.kunsthaus-bregenz.at/kalender
Information und Anmeldung
Julia Krepl
+43-5574-485 94-410
Partner*innen und Sponsor*innen
Das Kunsthaus Bregenz bedankt sich bei seinen Partner*innen für die großzügige finanzielle Unterstützung und das damit verbundene kulturelle Engagement.
Foto, Brus/c-Tretter