Im Alter von 93 Jahren hat uns Deutschlands bekanntester Literaturkritiker verlassen. Sämtliche Literaten, Bücherwürmer, Zeitungsherausgeber, Journalisten und Literaturliebende trauern um den Verlust des bedeutenden Kritikers.
Marcel Reich-Ranicki war eine ganz besondere Persönlichkeit. Manchmal wurde er als nicht einfach dargestellt, aber wer die Lebensgeschichte dieses bedeutenden Intellektuellen kennt, sollte dies problemlos nachvollziehen können. Er stammte aus einer deutsch-polnischen Familie ab, wuchs in Berlin auf und hatte als Jude das Warschauer Ghetto überlebt, jedoch Mutter, Vater, seinen Bruder und seinen besten Freund in einem Konzentrationslager verloren. Nach Deutschland kehrte er erst 1958 zurück. In Deutschland wurde er wegen der ZDF-Sendung „Das Literarische Quartett“ allbekannt. 1999 veröffentlichte er seine Autobiografie „Mein Leben“, die zum Bestseller wurde. Verlagsangaben nach wurde das Buch mehr als 1,2 Millionen Mal verkauft.
Ich werde nie ein Interview vergessen, das Aldo Parmeggiani mit ihm für das Buch „Bekenntnisse – Prominente im Gespräch“ führte. Wortwörtlich lautete Parmeggianis Frage: „Welchen Appel würden Sie als großer alter Mann an die Jugend richten? Haben Sie Vertrauen in die Jugend?“ Reich-Ranickis Antwort klingt heute noch in meinen Ohren, als würde ich es hier und jetzt erleben. «Seit Sokrates ist man der Ansicht, dass die Jugend verdorben ist. Seit Sokrates wird dies wiederholt. Und auch heute erzählt man Schreckliches über die Jugend. Ich glaube, das ist ungerecht. Ich kann nur in meinem Bereich sagen: ich wäre sehr glücklich, wenn ich die Gewissheit hätte, dass die Jugend sich für Goethe und Schiller, für Shakespeare interessiert. Ich glaube, das könnte nur gut und nützlich sein.»
Das war Reich – Ranicki, der bis ins hohe Alter als „bissiger“ Kritiker in der Literaturszene die Richtung vorgab. Ein Mann mit Geist und Charakter, aber auch mit Hoffnung und viel Liebe für die Menschheit.