Halbzeit bei der Summer School Südtirol in Feldthurns “Geschlechter werden & wieder loswerden”

Die Aufteilung der Welt in Geschlechter ist allumfassend, sie diktiert die Geschichte und die Geschichtsschreibung, sie ist allgegenwärtig im Alltag wie in den Lebensläufen, sie liegt den Beziehungen zugrunde und ist bestimmend für Strukturen und Körper. Männlich und weiblich ist den Erzählungen eingeschrieben, und den Erzählweisen – den Narrativen, die im Verborgenen diktieren, was bedeutsam ist – und was nicht – und in welcher Abstufung. Bei ihrer Eröffnungsrede sagte Summer-School-Gründerin Maxi Obexer am Sonntag: „Als Veranstalterinnen, die an den Erfahrungen und am Erkenntnisschatz derjenigen interessiert sind, die notorisch überhört, übersehen, ungefragt blieben – kamen wir an der geschlechtlichen Aufteilung der Welt in Männer und Frauen, Weiblichkeit und Männlichkeit nie vorbei. Denn sie ist ursächlich verantwortlich für sehr vieles, das nicht sein darf, obwohl es sich vor unseren Augen abspielt.“ Es gebe noch erstaunlich viel zu entdecken. Während manche großen Irrtümer, an denen die Menschheit sich entlang erzählte – wie dem Mythos von der männlich-menschlichen Überlegenheit über alle Geschöpfe – mehr und mehr bloßgelegt und entzaubert seien, stünden wir in vielem anderen noch am Anfang.
Besonders gefreut haben sich die Macher:innen der Summer School Maxi Obexer, Anna Heiss, Carmen Torggler, Judith Waldboth und Maria Lobis über die Anwesenheit der weltbekannten Schriftstellerin Erica Fischer. Die Autorin von „Aimée & Jaguar“ hat am Sonntag mit Humor und Charme aus ihrem neuen Werk „Spät lieben gelernt. Mein Leben“, gelesen.
Nivedita Prasad, Professorin für Handlungsmethoden und genderspezifische Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin hat für ihren engagierten Vortrag am Montag (26/08/24) unter dem Tagesmotto „Quer durch den Körper: Wenn einer Ausgrenzung die nächste folgt“ viel Applaus erhalten. Sie sprach über Intersektionalität an der Schnittstelle von Rassismus, Sexismus, Klassenunterdrückung und Transphobie. Intersektionalität beschreibt das Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen und erkennt an, dass Identitäten nicht isoliert existieren: Sie interagieren und überschneiden sich (race, class, gender, disability) und schaffen zusammengesetzte Diskriminierungserfahrungen.
Wer ist Familie? und Wer darf Familie? haben sich Sandra Steinegger und Claudia Zingerle gestern Abend (28/08/24) gefragt. Die beiden sind Mamas eines kleinen Sohnes, leben in Vahrn und sind Mitglieder des Vereins Famiglie Arcobaleno AltoAdige-Regenbogenfamilien Südtirol. Sie haben über den schwierigen Weg berichtet, eine Familie zu werden, über den Kampf um rechtliche Anerkennung in Italien, ihren Einsatz gegen Diskriminierung und für mehr Rechte in einem Staat, der ihre Existenz nicht anerkennt.
280 Menschen sind bisher zur zehnten Ausgabe der Summer School nach Feldthurns gekommen, haben den Referaten beigewohnt, mitdiskutiert, der Musik gelauscht, sich von den Performances mitnehmen lassen. Die Summer School Südtirol ist in der Trägerschaft der Südtiroler Autor:innen-Vereinigung geht noch bis Freitagabend, 30 August 2024. Sie beginnt jeweils um 18 Uhr im Schloss Velthurns in Feldthurns. Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist möglich, die Veranstaltungen sind für alle offen. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht notwendig. Nach den Vorträgen, Diskussionen, Lesungen, Konzerten und Performances zu den Themen Geschlechter, Identitäten und queere Formen erwarten die Teilnehmenden im Hof von Schloss Velthurns Abend für Abend Getränke und ein leichtes Gericht.
Im Bild: von links Sandra Steinegger und Claudia Zingerle/© Florian Dariz