Missbräuchliche Verwendung von Social Media und Gaming nimmt zu

Die Mitarbeiter*innen von YoungHANDS sind besorgt: Immer mehr junge Menschen verwenden Internet, Social Media, Smartphones und Tablets missbräuchlich. Südtirolweit begleitet der Verein HANDS jährlich rund 1.500 Menschen mit Alkohol-, Medikamenten- und Glücksspielproblemen. Im vergangenen Jahr 2022 waren darunter 120 junge Menschen, fast zwei Drittel mehr als im Jahr 2020. Videospielsucht habe negative Auswirkungen auf die Kernkompetenzen junger Leute, betont der Sozialpädagoge Federico Randi anlässlich des internationalen Tags des Kompetenzerwerbs junger Menschen am 15. Juli. Junge Menschen hätten immer häufiger Schwierigkeiten, die persönliche Entscheidungsfähigkeit zu entfalten und Langeweile auszuhalten. Die Entwicklung des kreativen Denkens werde gehemmt, weil das stets griffbereite Smartphone den Jugendlichen die Möglichkeit nimmt, sich zu langweilen und dabei kreative Lösungen für die Langeweile zu finden.

Ein weiterer, auf der Strecke bleibender Aspekt sei die Fähigkeit zu kommunizieren und zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen, sagt Federico Randi von YoungHANDS. Internet begünstige die Kommunikation und Verbindung mit anderen nur scheinbar. In Wirklichkeit gingen durch die digitale Beziehung der Rhythmus und das non verbale Element von analogen Interaktionen verloren. „Wir beobachten in unserer Arbeit täglich, dass die Fähigkeit, im digitalen Kontext Kontakte zu knüpfen, nicht unmittelbar auf den analogen Kontext übertragbar ist“, sagt Federico Randi. Wie in vielen Missbrauchssituationen werde die Substanz – in diesem Fall das missbräuchliche Verhalten – zu einer Bewältigungsstrategie, um mit schwierigen Situationen umzugehen und Stress zu bewältigen. Das aber sei eine dysfunktionale Art des Umgangs mit Stress: „Abhängigkeit oder Missbrauch beeinträchtigen den gesamten Aspekt der emotionalen Stressbewältigung“, sagt Randi.

In der zunehmend spezialisierten Gesellschaft sei es für jeden Menschen notwendig, über bestimmte “Hard skills” zu verfügen. Dabei geht es um Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der Arbeitswelt benötigt werden, beispielsweise die Nutzung eines Computers oder die Reparatur eines Motors. Auch wenn diese Fähigkeiten für die Gestaltung der Zukunft auf den ersten Blick als grundlegend für junge Menschen betrachtet werden, macht YoungHANDS in der Arbeit mit jungen Menschen immer häufiger die Erfahrung, dass wichtige Fähigkeiten hinter den von der Weltgesundheitsorganisation WHO genannten “Kernkompetenzen” zurückstehen: Dazu gehören Entscheidungsfindung und Problemlösung, kreatives Denken und kritischer Sinn, Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen, Selbstbewusstsein und Empathie sowie Umgang mit Emotionalität und Stress. Diese Fähigkeiten kommen in allen Lebensbereichen eines Menschen zum Tragen: „Unserer Erfahrung nach sind es genau diese Fähigkeiten, die zur Erreichung von Zielen führen“, sagt Federico Randi. Zu wissen, wie man ein Problem lösen, wie man mit Stress und Emotionen umgehen oder effektiv kommunizieren kann – entscheide über Erfolg oder Misserfolg im Leben. Diese “Fähigkeiten” können zwar in jedem Lebenskontext entwickelt werden, aber Familie, Schule und die Gruppe der Gleichaltrigen seien wichtige Kontexte, in denen junge Menschen Gelegenheit haben, zu experimentieren und sich weiterzuentwickeln.

2022 hat YoungHANDS mit 120 jungen Menschen unter 25 Jahren gearbeitet, das sind 64 Prozent mehr als im Jahr 2020. Bei fast der Hälfte von ihnen hatten es die Mitarbeiter*innen mit Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung von Videospielen und Geräten zu tun: Videospielsucht (Gaming Disorder), missbräuchliche Verwendung von Internet und digitalen Geräten betreffen vor allem die Jüngsten.

Die Entwicklung einer Sucht ist in der Regel kein plötzliches Ereignis: „Man wird nicht über Nacht süchtig“, erklärt Federico Randi. In erster Linie seien Eltern ein Schutzfaktor gegen die Entwicklung von Sucht. Sie kennen den Konsum von Substanzen und Geräten ihrer Kinder und können präventiv agieren, indem sie den Dialog mit ihren Kindern suchen. Wichtig sei auch die Präventionsarbeit in Schule, Jugend- und Sportvereinen. Wenn Eltern missbräuchliches Verhalten bemerken oder vermuten, sei es wichtig, sich rechtzeitig an Fachdienste zu wenden, noch bevor die negativen Folgen eines Missbrauchs zu weit fortschreiten und die Ressourcen innerhalb der Familie erschöpft sind, wie der Mitarbeiter von YoungHANDS betont. Werden beispielsweise starker sozialer Rückzug oder Leistungsabfall in der Schule festgestellt, sei es angebracht, sich an Fachdienste zu wenden, bevor Isolation oder Schulabbruch eintreten.

YoungHANDS bietet jungen Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren und ihren Familien Unterstützung an. Dabei werden Situationen der Abhängigkeit und des Missbrauchs von Alkohol, Drogen und Glücksspiel sowie Internetabhängigkeit bearbeitet. Im Rahmen des Dienstes wird den Menschen ein individueller und multidisziplinärer Ansatz geboten. Neben psychologischer Beratung und Therapie werden pädagogische und soziale Interventionen gesetzt. YoungHANDS befindet sich im 4. Stock der Räumlichkeiten des Vereins HANDS Onlus in der Duca-D’Aosta-Straße 100 in Bozen. Geöffnet ist die Dienststelle von Montag bis Donnerstag von 8.30 bis 12.30 und von 14 bis 18 Uhr, am Freitag von 8.30 bis 12.30 Uhr, Tel. 800720762

Die Eltern eines 13-jährigen Mädchens sind an YoungHANDS herangetreten, weil ihre Tochter fast die gesamte Freizeit mit Videospielen verbrachte. Zuerst wurden therapeutische Gespräche mit dem Mädchen geführt, um die Funktion des Spielverhaltens abzuklären. Im Rahmen der pädagogischen Begleitung wurde zunächst hauptsächlich an ihrer Freizeitgestaltung gearbeitet, unter anderem in Zusammenarbeit mit Jugendorganisationen. Bald stellte sich heraus, dass es in der Familie immer wieder zu Konfliktsituationen kam, daher wurden mit dem Ziel des Kernkompetenzerwerbs regelmäßige Familiengespräche geführt. Dabei wurden gemeinsam Problemlösungsstrategien erarbeitet, die familieninterne Kommunikation verbessert, die zwischenmenschliche Beziehung gestärkt und die Empathie gesteigert. Da das Mädchen die Schule nicht weiterführen wollte, hat es zusammen mit einer Sozialassistentin eine Lehrstelle gesucht. Zentrale Aspekte der therapeutischen und sozialen Arbeit waren die Stärkung des Selbstwerts, die Hilfe bei der Entscheidungsfindung und der Verantwortungsübernahme der Jugendlichen.

Foto, Federico Randi